Der Selbstmord des Fußballtorwarts Robert Enke liegt einige Wochen zurück und ist hier nicht das Thema. Denn es geht um die Medien im Fall Enke.
Wir haben den Ball vor geraumer Zeit der Lektüre für Nichtleser-Redaktion zugespielt, die sich seitdem intensiv mit dem Thema beschäftigt hat. Das Team um Herrn „Ich bin zwei Think Tanks“ Grabowski kam zu folgendem Ergebnis:
Am Tag von Robert Enkes Tod standen die Medien kurz vor einer großen, kollektiven Depression. Es ließen sich partout kein Skandal und keine bösen Mächte hinter Enkes Tod ausmachen. Sprich: nicht die geringste Dosis Quoten-Futter, sondern nur eine handelsübliche Depression.
Im Fall der Depression liegt leider nichts Gewöhnlicheres auf dem Nachrichten-Ticker als eine weithin bekannte Volkskrankheit. Zeitschriften wie der STERN machen die Depression gefühlt vierteljährlich zum Titelthema. Millionen Menschen leiden daran. Und Heerscharen von Psychologen, Psychiatern, Therapeuten, Ärzten, Wissenschaftlern arbeiten daran. Selbst im Fußball war die Depression vor Enkes Tod kein Unbekannter. Es sei daran erinnert, wir rührend sich das Management des FC Bayern um den seelisch erkrankten Sebastian Deisler kümmerte.
Fazit: Die armen Medien! Wie sollen sie nun Auflage machen mit einer ganz und gar unspektakulären Depression als Selbstmord-Ursache des auch sonst wenig glamourösen Fußballers? Kurz vor der medialen Sinnkrise gelang der Branche das passende Kunststück zur Lösung des Problems. Das Zauberwort lautet: „Tabu“. Man erklärt einfach rückwirkend, daß die Depression vor Enkes Tod ein Tabu gewesen sei. Das war sie nicht, keineswegs. Aber wen interessiert das, wo sich mit diesem Hebel doch so schön Stimmung machen läßt?
Wäre Robert Enke an einem Herzinfarkt gestorben, könnte man den selben Schlüssel ansetzen und das Allerweltsproblem nachträglich zum Tabu erklären, über das man dann enthüllend berichten könnte. Als Ursache wäre dann die herzlose, harte Fußballerwelt in den Zeugenstand zu rufen, die selbst gestandenen Kerlen das Herz stehen läßt. Erschütternd!
Diese Mechanik ist beliebig durchdeklinierbar. Würde Lothar Matthäus als Trainer der Betriebs-Fußball-Mannschaft von Al Quaida anheuern und dabei umkommen, bräuchte man nur Idiotie rückwirkend als Tabu erklären, um lecker Quote zu machen. – Obwohl: Dieser Vergleich hinkt leider doch. Denn Idiotie ist ja tatsächlich ein Tabu. Millionen Menschen leiden darunter, viele davon in der Medien-Branche. Aber niemand nimmt sich dieses klammheimlichen Volksleidens an. Es gibt keine Ärzte oder Psychologen und keine Lobbies, die den Millionen an Idiotie leidenden Menschen Abhilfe verschaffen könnten. Das wär doch mal ein echtes Tabu! Nicht wahr, liebe Medien?
Aber zurück zum Thema: Depression war vor Enkes Tod kein Tabu, nach Enkes Tod war sie dann doch ein Tabu und wiederum nach der wackeren Aufklärungsarbeit der Medien ist sie jetzt wieder kein Tabu. Alles wie gehabt also.
War was, fragt man sich? Nö. Nur eine weitere Folge aus der Serie absurden medialen Theaters. Man mag sich darüber aufregen oder amüsieren. Ganz wie’s jedem persönlich beliebt.
Ein sehr wichtiger Beitrag, der das Tabuthema „Tabuthemen” endlich einmal tabulos thematisiert.
Thema verfeht bzw. Haarspalterei. Es geht selbstverständlich nicht darum, dass das Thema Despression ein Tabuthema sei. Vielmehr ist es für viele Menschen ein Tabu, eine Depression oder psychische Erkrankung einzugestehen, weil sie stigmatisiert. Und darum geht es, nichts anderes.
Ich kann eigentlich nur jeden Satz dieess Artikels unterstreichen. Zumal mir ein befreundeter Arzt erze4hlte, dass die Diagnose Burnout, wenn fcberhaupt, nur bei Pflegeberufen angewendet werden kann. Die Pfleger haben sich dann so selbstlos ffcr ihre Patienten aufgeopfert, dass sie sich irgendwann dann selbst vergadfen und eben ausgebrannt waren. Heute wird der Begriff Burnout absichtlich oder unabsichtlich beschf6nigend mit Depressionen gleichgesetzt. Und diese Schf6nfe4rberei macht in der Tat in der Wahrnehmung der anderen einen grodfen Unterschied aus: Wer ein Burnout hat, verdient Respekt, hat er sich ja durch zu viel Stress erarbeitet, ein Depressiver hat daffcr nix getan, gehf6rt eher in die Klapse und braucht Medikamente. Es wird wohl noch ein paar Jahre, ehe Depressionen besser gesellschaftlich akzeptiert werden. Und DFB-Pre4sident Zwanziger (Spitzname intern: der falsche Ffcnfziger) sollte sich mit seinen naiven Gutmenschen-c4udferungen zurfcckhalten.
Keep it coming, writers, this is good stuff.